Chemie

Entgiftung nach der Narkose

Man könnte der Alternativmedizin zugute halten, dass sie es schafft, gläubige Patienten zu beruhigen und ihnen Hoffnung und Zuversicht zu schenken, obwohl sie keine spezifische Wirkung hat. Jedoch kann sich dieser Placeboeffekt schnell ins Gegenteil verkehren, wenn Verkäufer alternativmedizinischer Mittelchen nicht das Wohl der Patienten in den Mittelpunkt stellen, sondern durch Angstmache versuchen, die Verkäufe anzukurbeln. Eine einträgliche Strategie ist es, Menschen eine Angst vor angeblichen Umweltgiften einzuflößen und eine entsprechende Therapie zur Ausleitung dieser Gifte anzubieten. Besonders dreist wird es, wenn schwerkranken Patienten eingeredet wird, medizinische Behandlungen seien schädlich, und diese dann im Glauben, Alternativmedizin sei tatsächlich eine Alternative, auf notwendige Behandlungen verzichten. Alternativmedizin ist nicht immer harmlos!

Angst vor der Narkose

Ein Mythos, der in alternativmedizinischen Kreisen gerne gepredigt wird, ist die Notwendigkeit, nach einer Narkose den Körper zu entgiften, um die Giftstoffe der Narkosemittel auszuleiten. Ohne Entgiftung würden die Gifte ein Jahr lang im Körper verbleiben. Meine Mutter hat diese Behauptung etwa in einem Reformhaus aufgeschnappt und im alternativmedizinischen „Ratgeber“ Praxis Spagyrik gelesen. Zu den Sorgen über die eigentliche Krankheit gesellen sich so noch unberechtigte Ängste vor der lebensrettenden Behandlung. Patienten, die sich vor einer bevorstehenden Narkose fürchten, seien diese beiden Artikel nahegelegt:

Die Frage nach der Verweildauer der Narkosemittel wird in diesen beiden Artikeln bereits erläutert:

Darf ich gleich nach der Narkose wieder essen und trinken?
„Besser wäre, ein, zwei Stunden zu warten, bis man etwas isst oder trinkt“, empfiehlt Ilias. Zumindest so lange, bis der Körper die Narkosemittel wieder abgebaut hat und die Leber nicht mehr damit belastet ist, sollte man keinen Alkohol trinken: Der Abbau der Mittel dauert je nach Intensität der Narkose zwei bis zwölf Stunden.

Wenige Minuten nach Operationsende – schon im Aufwachraum ist der Patient bereits wieder ansprechbar – und hat kaum eine Erinnerung an den Narkosebeginn. Die gasförmigen Narkotika werden innerhalb kürzester Zeit wieder abgeatmet, die intravenös verabreichten Pharmaka wie z.B. Barbiturate baut die gesunde Leber innerhalb von 12 Stunden ab.

Mit zwei bis zwölf Stunden sind wir weit entfernt von der angeblichen Dauer von einem Jahr und können den Mythos als solchen entlarven. Wir wollen es aber noch genauer wissen und befragen die Fachliteratur:

  • Michael Freissmuth, Stefan Offermanns, Stefan Böhm: Pharmakologie und Toxikologie. Von den molekularen Grundlagen zur Pharmakotherapie. Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2012, S. 246-248.

Pharmakologische Grundlagen der Narkose

Narkotika werden eingesetzt, um einen Zustand herbeizuführen, der chirurgische oder diagnostische Eingriffe unter Aufhebung der Schmerzempfindung, des Bewusstseins und des Erinnerungsvermögens erlaubt, die lebenswichtigen Funktionen jedoch aufrecht erhält. Narkotika werden nach deren Applikationsart in Injektionsnarkotika und Inhalationsnarkotika unterteilt. Zur ausreichenden Muskelrelaxation und Reflexdämpfung werden zusätzlich Muskelrelaxanzien verabreicht.

Die Begriffe Narkose und Anästhesie bzw. Narkotika und Anästhetika werden weitgehend synonym verwendet. Wirkstoffe können auf zwei Arten zugeführt werden: Inhalationsnarkotika werden über die Atemwege appliziert und möglichst ohne Verstoffwechslung wieder abgeatmet. Injektionsnarkotika werden intravenös zugeführt und über die Leber und Niere ausgeschieden. Diese wollen wir im Folgenden genauer betrachten.

Injektionsnarkotika

Injektionsnarkotika sind lipophil und wirken schnell, da sich die Wirkstoffe sofort an die lipophilen Anteile des zentralen Nervensystems anlagern. Danach erfolgt allerdings rasch eine Umverteilung in andere Gewebe wie Muskulatur und schließlich ins Fettgewebe. Die Dauer der narkotischen Wirkung ist daher nur kurz. Um die Narkose aufrechtzuerhalten, ist ein gewisser Plasmaspiegel erforderlich, daher müssen die Wirkstoffe kontinuierlich zugeführt werden. Die Geschwindigkeit der Umverteilung ist aber nicht konstant, sondern wird durch die in der Peripherie gespeicherte Menge, die Lipophilie des Wirkstoffs und die Metabolisierungsrate bestimmt.

Kontextsensitive Halbwertszeit

Das heißt, dass die Wirkdauer einer Narkotikagabe von der bereits verabreichten Menge abhängt. Eine spätere Verabreichung derselben Menge kann den für eine Narkose erforderlichen Plasmaspiegel länger halten als die erstmalige Gabe. Man spricht hier von einer kontextsensitiven Halbwertszeit. Sie gibt die Zeit an, in der die Konzentration eines Wirkstoffs im Blutplasma auf die Hälfte sinkt, und zwar in Abhängigkeit der bisherigen Dauer bzw. verabreichten Menge der Narkose. Je länger eine Narkose andauert, desto länger ist diese Halbwertszeit. Im Falle von Thiopental beträgt sie zu Beginn nur 5-15 Minuten, nach einer 8-stündigen Narkose hingegen ca. 200 Minuten.

Eliminationshalbwertszeit

Für unsere Fragestellung interessanter ist die Eliminationshalbwertszeit. Sie gibt an, wie lange der Körper braucht, bis er die Hälfte der ursprünglichen Wirkstoffmenge eines Arzneimittel über den Stuhl oder Harn tatsächlich ausgeschieden hat. Für Injektionsnarkotika werden folgende Werte angegeben:

  • Methohexital: 4 Stunden
  • Thiopental: 12 Stunden
  • Etomidat: 3 Stunden
  • Ketamin: 3 Stunden
  • Propofol: 2 Stunden

Exponentielles Zerfallsmodell

Wenn nach einer Halbwertszeit die Hälfte abgebaut ist, bedeutet das nicht, dass der Wirkstoff nach zwei Halbwertszeiten vollständig ausgeschieden ist. Da in einer Halbwertszeit immer 50% der noch vorhandenen Menge abgebaut werden, verläuft der Prozess zunächst rasch und dann immer langsamer. Das heißt, während der zweiten Halbwertszeit wird die Hälfte der verbliebenen Hälfte aus der ersten Halbwertszeit ausgeschieden, also ein Viertel. Somit ist nach 2 Halbwertszeiten noch 1/4 der ursprünglichen Menge übrig, nach 3 Halbwertszeiten noch 1/8, und so weiter. Der Abbau der Wirkstoffmenge lässt sich durch ein exponentielles Zerfallsmodell beschreiben:

m(t) = M * e^(-k*t)

Aus der ursprünglichen Wirkstoffmenge M können wir damit die Wirkstoffmenge m(t) nach t vergangenen Stunden berechnen. Die Eliminationskonstante k ergibt sich aus der Eliminationshalbwertszeit:

k = ln(2) / Eliminationshalbwertszeit

Wenn wir uns beispielsweise fragen, nach welcher Zeitdauer 99% des Wirkstoffes abgebaut sind, erhalten wir rechnerisch folgende Werte:

  • Methohexital: 27 Stunden
  • Thiopental: 80 Stunden
  • Etomidat: 20 Stunden
  • Ketamin: 20 Stunden
  • Propofol: 13 Stunden

Die meisten Wirkstoffe werden also innerhalb eines Tages fast vollständig abgebaut und nach der Entlassung aus dem Krankenhaus besteht kein Grund für eine „Entgiftung“! Mit diesem Modell können wir natürlich auch berechnen, wie viel Wirkstoffmenge theoretisch nach einem Jahr (entspricht 8760 Stunden) noch übrig ist. Die Ergebniswerte sind dermaßen klein, dass ich sie zum besseren Verständnis in homöopathischen Verdünnungen angegeben habe.

  • Methohexital: 5,6 mal 10 hoch minus 660, entspricht D660 oder C330
  • Thiopental: 1,8 mal 10 hoch minus 220, entspricht D220 oder C110
  • Etomidat: 9,8 mal 10 hoch minus 880, entspricht D880 oder C440
  • Ketamin: 9,8 mal 10 hoch minus 880, entspricht D880 oder C440
  • Propofol: 30,8 mal 10 hoch minus 1320, entspricht D1320 oder C660

Um diese Größenordnungen besser einordnen zu können: In Homöopathika ist ab der Verdünnung D23 bzw. C12 kein einziges Wirkstoff-Molekül mehr enthalten.

Chemtrails und das Geschäft mit der Angst

Lange Zeit habe ich von Chemtrails nur gehört, wenn über Chemtrail-Gläubige vorrangig aus Deutschland berichtet wurde. Neuerdings postet auch jemand aus meiner Umgebung regelmäßig Bilder von Kondensstreifen am Himmel und warnt vor der großen Verschwörung. Dazu gibts weitere Berichte zu Umweltgiften, der übermächtigen Pharmaindustrie und ihren bezahlten Ärzten sowie der Gefährdung des Weltfriedens – dargeboten vom Kopp-Verlag und den Netzfrauen. Als Gesundheitstipps werden Links zum dubiosen Zentrum der Gesundheit geteilt. Mein entfernter Bekannter versorgt uns nicht nur mit Informationen über die überall lauernde Gefahr, sondern auch mit angeblich gesundheitsförderlichen Mittelchen, die er vertreibt.

Da drängt sich mir die Frage auf: Glaubt er das wirklich alles, was er auf Facebook teilt? Oder orientieren sich seine vorgeblichen Interessen etwa doch an der geschäftlichen Tätigkeit? Er scheint sich ja brennend für unsere Gesundheit zu interessieren und ist in vielen Facebook-Gruppen Mitglied, wo er sich wahrscheinlich mit Gleichgesinnten über Gesundheitsgefahren austauscht. Ich habe mir angesehen, worum es in diesen Gruppen wirklich geht, indem ich die Gruppenbezeichnungen einer Analyse unterzogen habe. Ergebnis ist eine Tag-Cloud, die für sich spricht:

TagCloud

Trinkwassermythen

Unser Trinkwasser ist gut untersucht und meist einwandfrei. Auch wenn es tatsächlich vereinzelt lokal zu Problemen mit Trinkwasser kommt, spielen Schadstoffe im Trinkwasser bei uns keine große Rolle. Dennoch versuchen zahlreiche Anbieter von Wasserfiltern mit der Angst ein Geschäft zu machen.

Wenn es Probleme gibt, sind Wasserfilter keine Lösung, sondern es müssen die Ursachen beseitigt werden. Im Jahr 2000 beurteilte die Stiftung Warentest Wasserfilter als meist überflüssig. Sie würden Problemstoffe nur unzuverlässig entfernen, außerdem können sich Keime im Filter ansiedeln und abgegeben werden, wenn der Filter nicht regelmäßig getauscht wird.

Trinkwasserfilter mit zweifelhafter Wirksamkeit, aber zweifellos hohen Kosten werden auch über Strukturvertriebe angeboten. Mit pseudowissenschaftlichen Argumenten und übertriebener Panikmache wird potentiellen Kunden Angst eingejagt, um sie vom Kauf eines teuren Geräts zu überzeugen. Beeindrucken soll das vor allem ältere Menschen und Familien mit Kindern.

Bild: Lupo / pixelio.de

Bild: Lupo / pixelio.de

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Entgiftung mit Zeolith nach Kärntner HCB-Skandal

Ein Unglück bedeutet nicht nur Not für die Betroffenen, es lässt sich auch prima daran verdienen. Nach Flutkatastrophen etwa drängen sich Abzockerfirmen wie Aquapol auf und fügen den Hochwasseropfern zusätzlich noch einen finanziellen Schaden zu, indem sie wirkungslose Trockenlegungsgeräte für 5.000 Euro verkaufen.

Nach dem HCB-Skandal in Kärnten, bei dem Hexachlorbenzol durch ein Zementwerk in die Umwelt gelangen konnte, bieten Hersteller diverser Mittelchen nun ihre Dienste zur Entgiftung der Kärnter Bevölkerung an. Die Werbung wurde geschickt neben einem Bericht über das Umweltgift platziert. So schreibt der „KRONE HEUTE Blog„:

Die Werbeeinschaltug auf dieser Doppelseite über den HCB-Skandal hat sicher sowohl der KRONE als auch dem abgebildeten Energetiker gutes Geld gebracht…

Bildquelle: Christian Passin

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Chemie im Essen

Viele Menschen fürchten sich vor der „Chemie“, vor allem vor jener, die wir mit unseren Lebensmitteln aufnehmen. Bei manchen Produkten der Lebensmittelindustrie bekommt man allein schon vom Lesen der Zutatenliste allergische Reaktionen. Mal ehrlich, würden sie im Supermarkt etwas kaufen, das diese Inhaltsstoffe aufweist?

we-love-chemicals-620_kleinWas glauben Sie, um welches Produkt es sich handelt? Die Lösung: http://www.chem.gla.ac.uk/staff/wynne/i/2012/we-love-chemicals-620.jpg

Dieses Beispiel zeigt eindrucksvoll, welch übertriebene Angst vor der „Chemie“ uns verunsichert. Die ganze Natur besteht aus Chemie. Synthetische Verbindungen sind nicht per se schlecht, andererseits sagt Natürlichkeit alleine noch nichts über die Unbedenklichkeit aus. Oder würden Sie einen Tollkirschentee trinken? Natur pur!

Eine Plakatserie zeigt auf, wieviel „Chemie“ tatsächlich von Natur aus in unseren Lebensmitteln steckt.

Weitere Infografiken gibt es im Blog von James Kennedy, wo die bekannte Früchte unter die Lupe genommen werden, etwa die Zutatenliste einer Erdbeere: