Der Begriff „Schulmedizin“

Es herrscht Begriffsverwirrung rund um die Medizin. Zur Abgrenzung von der (alternativen | traditionellen | komplementären) Medizin wird für die (konventionelle | akademische | wissenschaftliche) Medizin gerne der Begriff „Schulmedizin“ verwendet. Ganz unabhängig davon, welche Begriffe wir verwenden: es gibt Medizin, die wirkt, und Medizin, die nicht wirkt.

Das Wort Schule ist an sich ein neutraler Begriff, der sich von den medzinischen Ausbildungsstätten ableitet. Die Bedeutung von „Schulmedizin“ wurde aber immer mehr negativ besetzt. Homöopathen verwendeten den Begriff gezielt, um die damaligen Therapiekonzepte abzuwerten. Auch im Deutschland des Nationalsozialismus sprach man von der „verjudeten Schulmedizin“ und propagierte die Neue Deutsche Heilkunde.

Dass die im 19. Jahrhundert an Hochschulen gelehrten Therapien mit Aderlass, Brech- und Abführmittel mehr schadeten als nutzten, ist tatsächlich belegt. Eine wirkungslose Therapie bzw. reine Flüssigkeitszufuhr stand damals natürlich besser da als eine, die den Patienten schadet, wie in Beweisaufnahme Homöopathie beschrieben wurde. Doch mittlerweile hat sich viel getan.

Wenn man an Schulmedizin denkt, verbindet man damit meist dogmatisches Handeln und reine Behandlung von Symptomen.

Dogmatismus

Ein Grundpfeiler der Wissenschaft ist der ständige Zweifel, auch sich selbst gegenüber. In der evidenzbasierten Medizin werden Therapien ständig überprüft und manche wieder verworfen. So kann es auch vorkommen, dass sich selbst nach jahrelanger Anwendung herausstellt, dass eine Therapie nur als Placebo oder sogar schlechter wirkt. Die wissenschaftliche Medizin stellt sich selbst in Frage, und ist sich bewusst, dass das heutige Wissen nur ein vorläufiges Wissen ist. Auf diese Weise „irren wir uns empor“.

Alternativmedizinische Verfahren wie die Homöopathie beruhen hingegen auf Jahrhunderte alten Theorien, die sich bis heute im Wesentlichen nicht geändert haben. Während die wissenschaftliche Medizin gewaltige Fortschritte gemacht hat, hält die Homöopathie an alten Glaubenssätzen fest, auch wenn kein Nutzen festzustellen ist. Wie in vielen alternativmedizinsichen Gebieten beruft man sich auch hier auf einen Begründer. In der Homöopathie gibt es zwar verschiedene Richtungen, diese streiten sich aber um die „wahre Lehre“. Hahnemann selbst war im Gegensatz zu seinen heutigen Kollegen nicht unbedingt ein Dogmatiker. Er erkannte, dass der gelehrte Aderlass bei vielen Krankheiten weniger erfolgreich war als Homöopathie und propagierte daraufhin seine Methode. Das ist wissenschaftliches Arbeiten!

Behandlung von Symptomen

Mit diagnostischen Verfahren versucht man in der wissenschaftlichen Medizin, Krankheiten auf den Grund zu gehen und die Ursachen zu beheben. Diese werden gezielt behandelt. Viele Krankheiten, die heute gut erforscht sind, waren vor 200 Jahren nocht nicht bekannt. Die Homöopathie entstand zu einer Zeit, als etwa Bakterien als Krankheitserreger noch unbekannt waren. Man denkt auch gar nicht an Ursachen, sondern die Auswahl des homöopathischen Mittels orientiert sich alleine an den Symptomen, die den Arzneimittelbildern zugeordnet werden. Und das nennt man dann „ganzheitlich“.

Man hat das Gefühl, Homöopathen sehen im Menschen eine Maschine, die auf eine Eingabe wartet. Man müsse ihm eine Information eingeben, um den Befehl zur Selbstheilung zu geben. In Wirklichkeit ist der Mensch ein komplexes System. Er hat sich im Laufe der Evolution selbst Reparatur- und Selbstheilungsmechanismen angeeignet, die ganz ohne Zutun eines Heilers ablaufen.

Somit können wir die heutigen Homöopathen als die „wahren Schulmediziner“ bezeichnen.

Integrative Medizin

Was die Homöopathie gut kann, ist die intensive Zuwendung zum Patienten. Homöopathen beschäftigen sich stundenlang mit dem Patienten, um ein individuelles Mittel auszuwählen. Unabhängig von der Wahl des Mittels profitiert der Patient von einem gesteigerten Placeboeffekt: Er vertraut seinem Heiler, genießt beruhigt das lange Gespräch und ist zuversichtlich, während seine körpereigenen Selbstheilungssysteme die Arbeit erledigen. Ersetzt man in Studien mit gutem Design die individuellen Mittel mit einem Placebo, ergibt sich kein Unterschied im Therapieerfolg.

Es wird bemängelt, dass sich Ärzte heute zu wenig um ein ausführliches Gespräch mit ihren Patienten kümmern. Dadurch können sie ihnen keinen so ausgeprägten Placeboeffekt bieten. Dies ist allerdings ein Problem der unterfinanzierten Gesundheitssysteme, und nicht der wissenschaftlichen Methode.

Mit der integrativen Medizin wird versucht, alternativmedizinische Methoden in die konventionelle Medizin zu integrieren. Wenn man damit eine Placebo-Komponente in der Behandlung erzielt, ist das natürlich begrüßenswert. Allerdings gilt es zu bedenken, dass man dazu dem Patienten gegenüber unehrlich sein muss und vielleicht falsche Hoffnungen geweckt werden. Dies steht im Gegensatz zum Ideal des „aufgeklärten Patienten“, der dem Arzt ebenbürtig gegenüberstehen soll.

Solange Alternativmediziner die wissenschaftliche Medizin diffamieren, um ihre eigenen Methoden anzupreisen, und mit Angstmache eher einen Nocebo-Effekt erzeugen, bleibt eine Annäherung schwierig.

Zum Weiterlesen:

http://www.gwup.org/component/content/article/332-fragen-und-antworten-zur-homoeopathie

4 Kommentare

    1. Homöopathie hat ja durchaus Vorteile: Es ist ein mächtiges Placebo. Besorgte Eltern haben das Gefühl etwas tun zu können und sind beruhigt. Man braucht nicht bei jedem Schnupfen zum Hausarzt rennen um sich unnötig Antibiotika verschreiben zu lassen. Globuli sind günstig und haben keine Nebenwirkungen. Leiden können gelindert werden, den Menschen wird Hoffnung gegeben.

      Ich warte schon lange auf eine Diskussion, wie man Homöopathie ethisch korrekt einsetzen könnte, schließlich kann sie schon auf ein gutes Image aufbauen. Leider gehts aber immer nur darum, dass uns gewisse Proponenten weismachen wollen, dass geistartige Kräfte wirken, die Schulmedizin böse ist und Homöopathie viel besser.

      Lesen Sie mal in einschlägigen Foren, wo Mütter sich gegenseitig darin bestärken, auch schwere Infekte homöopathisch zu behandeln, und ja nicht zu einem schulmedizinischen Arzt zu gehen, da der ihre Kinder ja nur vergiften will.

      Schlecht ist auch, wenn selbst Mediziner daran glauben und die Möglichkeiten eines Placebos zu sehr überschätzen. Ein Medizinprofessor hat gemeint, dass es viele Studentinnen gibt (ja, es sind hauptsächlich Frauen) die Medizin studieren, weil sie wegen der tollen Erfahrung in ihrer Kindheit Homöopathinnen werden wollen. Sie halten zwar nichts von der „Schulmedizin“, ziehen das Studium aber trotzdem durch, weil das in Österreich Voraussetzung ist, um als Homöopath tätig zu werden. In Deutschland hätten sie es leichter, da dürfen das auch Laien (Heilpraktiker).

      Homöopathie mag scheinbar helfen, doch den Paceboeffekt gibt’s bei allen Medikamenten/Therapien obendrauf, ohne dass Patienten belogen und ausgenommen werden. Mit der Homöopathie wird noch dazu ein wissenschaftsfeindliches Weltbild transportiert, das dazu führt, dass wirksamere Therapien versäumt werden und die Patienten sich vor „Chemie“, Impfungen etc. fürchten. Homöopathie bewirkt einen Noceboeffekt in der wissenschaftlichen Medizin!

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